A. M. von Thümmel’s Sämmtliche Werke: Band 2 Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich, Teil 2 [Reprint 2020 ed.] 9783111627946, 9783111249698


192 97 16MB

German Pages 338 [341] Year 1853

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

A. M. von Thümmel’s Sämmtliche Werke: Band 2 Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich, Teil 2 [Reprint 2020 ed.]
 9783111627946, 9783111249698

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

X M von Thümmel's

sämmtliche Werke.

Zweiter Band.

Leipzig. (Ä. I. Oöschrn'sche Berlagshandlung.

1853.

Reise in bu

mittäglichen Provinzen

von Frankreich.

3 iv n t e r Theil.

N i m e S. Den 1. Januar.

Freund! daß ein frischt- Gesicht, hn Scharten wild fliegenden HaareDem keine Feder , kein Schmuck den Dau der Locken verbog;

(Lin Dusen, welcher , bei Gott! mir allem, was er auch Rare-

Entdeckr' und verbarg, zwo Mirabellen kaum wog; Sin kleine- narrische- Ding, da- gaukelnd — sonder ein klare Bewußtseyn seine- Beruf-, mir dem Geschwäye de- Graarc-

Den Daum der Erkenntniß deö Guten und Dlsen umflog —

Daß eine Fee dieser Art jüngst auf ein eben so wahreAl- seltene- Weihnacht-geschenk an ihre Tafel mich zog. Und, al- ich hungrig erschien , mich, wie wir wissen, betrog — Für einen Schüler Berlin- war da- zum Schlüsse de- Jahres Ein ärgerlicher Epilog!

Doch daß, zu meinem Ruhm, eö Welt und Nachwelt wisse! Ich stahl bei dem Geräusch mir nicht bestimmter Küsse

Dom Schauplay mich hinweg, und wie ein Held, verwies

Ich mir sogar den Blick, den hinter die Coulisse

Die Lüsternheit mich werfen hieß ;

Der lepre Rest von Amor- Sorgen Schwand mit dem Traum der leyten Nacht. —

4 AuS solchem Sturm d,r Leidenschaft geborgen Ist wohl nie muthiger am ersten Fekrmorgen

Dcö Jabr- ein Philosoph errvacht! —

So bang um den Ersatz, so ernst, wie ein Verschwender

DaS Gold, daS er verlor, im Geist zusammen reibt. Durchzählt' auch ich den Werth der mir entstohnen Seit,

Und webte mir ein Jahr tm künftigen Kalender AuS Festen der Enthaltsamkeit.

O Weiöhelt! rief ich auS, o du , die in der Mitte Der Freuden sitzt, die keine Reu vergällt — Entziehe mich der Schmach, die jede niedre Ditte Um eines WeibeS Gunst enthalt!

Verleih, daß ich, selbst unerschüttert

Im Brennpunkt einer Griechin steh,

Und, wenn auch schon an ihrem Negligee DaS Dand sich bläht, der AtlaS knittert. Doch nicht in Gährung übergeh! Gieb, daß ein hehrer Zweek der Neugier Angel knie, *?ÜÖ der an Ruhebetten lauscht, lind auch dem Glüellichsten, dem dorr die Zeit verrauscht.

Doch nur armselige Geschenke

Aus Kosten seiner selbst vertauscht! Jsi'S möglich, daß ein Geist, der Sonnen zu erklettern Vermag, und ihre Strahlen theilt, Zum Thron deS Ewigen in blitzerfullten Wettern

Mit unversengtem Fittich eilt, Nun diesen Fittich senkt, und kindisch sich verweilt,

Um eine Rose zu entblättern?

So ttes sank Newton nie.

An weisre Sorgen band

Er seine Thätigkeit und seine- Namen- Ehre;

5 Zu stolz für ein System, da- weniger Verstand Als Mark erheischt — war ihm ein Kuß — ein Druck der Hand, Und wa- ein M a n n nur wünscht

daß ihm ein Weib gewähre,

Ein Spiel, da- er nicht werth der Untersuchung fand,

Unnöthtg zum Dewei- der Lehre, Die er von dem Gesep der Schwere Der sträubenden Natur entwand.

Don allen Globen, die un- Licht Und Ebb' und Flut und Tag und Nacht gewähren,

Kannt' er den Lauf und da- Gewicht, Hob alle Schleier auf, da- Dunkel aufzuklaren,

Selbst von Johanne- Traumgestcht: 4 Die Globen nur, die, wie ihr Schmeichler spricht, Den Musen gleich, 44 und in der Kindheit nähren ,

Al- Mann, al- Grei- erfreun , selbst unsern Wohlstand ehren, Und unsre Freunde sind, wenn Rath und Trost gebricht,

Nur die besuchtesten von allen Hemisphären

Besuchter nie und kannt' er nicht. 444

4 Gr suchte die Apokalypse zu erklären, und brachte, wie e- scheint, der menschlichen Schwachheit dieß Opfer, um sich, wegen seiner Überschwenglichen Größe, mit den Menschen au-zusöhnen.

44 Nach einer Stelle de- Eieero pr. Arehia Cap. 7.

Hat« atudia adolca»

eentiam al uni, aenectatem oblectaat, aecundaa reg ornant, ia adreraia aolatiuna

praebent. 444 Er starb im hohen Alter, und, wie seine Sektion bewte-, ohneje, bet vollkommenem Zustande der Mannheit,

zu haben.

ihren Forderungen untergelegen

6

ES ist eine herzerhebende Empfindung für einen Mann, der an feiner Vervollkommnung arbeitet, wenn er fich beim Erwachen klüger wieder findet, als er sich den Abend vorher verließ. — Ich fühlte die stemmen Morgengedanken, die ich dir eben mittheilte, mein Eduard, mir so nahe und so warm am Herzen liegen, daß ich sie, ehrlicher Weife, für sichere Anzeigen feiner Besserung hielt, und fchon mit Vergnügen die guten Folgen davon berechnete: ein kleiner Umstand aber, der dazwischen kam, zeigte mir bald, daß. es nichts weiter als philosophische Dünste waren, die gern so geschwind ver­ fliegen als sie aufsteigen, und zu allen Zeiten wohl selten etwas beitragen mögen, die Gesundheit einer kranken Seele zu befestigen. Der gute Junge, den ich gestern miethete — ich hatte ihn ganz aus der Acht gelassen — trat seinen Dienst bei mir an, und pflanzte sich, da ich mich seiner am wenigsten ver­ sah, schön gekräuselt und in die Livrei gekleidet, die sein Schwager ehrlich getragen und glücklich abgelegt hatte, vor mein Bette. Die Sache ging sehr natürlich zu, und doch kam sie mir als eine unerwartete Erscheinung vor, und erregte Ideen bei mir, die meiner armen Philosophie nichts weniger als zuträglich waren. — Urtheile nun selbst, wie es mit einem solchen Kopfe aussehen mag, den so gleichgültige Dinge schon aus seiner Fassung bringen. Das reisefertige Ansehen Bastians, sein sreundlicher Glückwunsch zum neuen Jahre, und seine überraschende Frage: ob er das Anspannen

7 bestellen solle, machten mich, eins wie das andere, mit mir selbst irre. — Ich blickte ihm ungewiß in das Gesicht, als ob mir eine dunkle Erinnerung von ihm vorschwebte, und runzelte, statt ihm zu antworten, die Stirn. Endlich merkte ich, was mir war. — „Keinen Gruß von Margot?" sagte ich heimlich zu mir; „das heißt deine Befehle fast zu pünkt­ lich befolgt!" und legte mich unwillig auf das andere Ohr. Er mußte mich noch ein paarmal mit der sonoren Sttmme seiner Schwester und mit den Aehnlichkeiten ihres lieben Gesichtchens erschrecken, ehe ich gefaßt genug war, ihn mit einem grämlichen Ja! abzufertigen. — Er verließ mich — und ich — nicht halb mehr so zufrieden mit mir, als vor einigen Minuten, stand lässig auf; meine Morgenbetrach­ tungen blieben unvollendet in der Nachtmütze hängen, die ich abwarf, und ich trat mit einer Art von Trotz in daS Nebenzimmer, wo eine Kleinigkeit, die meiner wartete, mich vollends und eben so geschwind verstimmte, als sie mir in die Augen fiel. Cs war eine Rose, die mir Bastian von seiner Schwester mitgebracht, und auf den Bogen, woran ich jetzt schreibe, gelegt hatte. Ich erkannte sie sogleich, wie ich ihrer ansichtig ward. Es war die oberste von den dreien, die gestern noch alS Knospen an dem Stocke hingen, den Margot täglich in die Sonne trug und begoß. — „Die erste, die sich entfalten wird," sagte immer das liebe Kind, „soll niemand bekommen als Sie, mein gütiger Herr!" und wie wird sie sich freuen.

8 daß sie mir noch Wort halten konnte! Ich ho- die Blume zitternd in die Höhe, und Thränen traten mir in die Augen. Alle die frohen Erinnerungen der ländlichen Stun­ den, wo sie mit aufgestreiften Aermeln vor ihrem Blumen­ stöcke stand, ihn genau musterte, und bald eine summende Mücke, bald eine näschige Wespe davon verjagte, schienen jetzt mit dem Gerüche dieser lieblichen Blume in mich Über­ zuströmen, und ich konnte mich an der frischen Farbe dieser Erstlingin des Jahres nicht satt sehen. Du kennst doch die Provencer Rosen, trauter Eduard? Viel kleiner als die unsern, röther, elastischer und con­ centrischer, als es bei weitem unsre Centifolien sind, scheinen sie dem Auge eines Deutschen nur desto reizender — und nun vollends so früh im Jahre, und in der feierlichen Nacht entfaltet, die mich, ach! auf immer, von dem nachbarlichen Bette meiner guten Margot entfernt hat! Wäre es ein Wnnder, wenn ich, trotz einem Brokes und seinem irdischen Vergnügen in Gott, über Betrachtung dieser Blume zum Kinde würde? Ich habe sie zwischen meinem Busenstreife ver­ borgen, nahe bei meinem pochenden Herzen, und würde es für Sünde halten, wenn ich sie mit prahlendem Leichtsinn auf meinen Reisehut stecken wollte. Nein! sie soll durch ihren sanften Gegendruck — durch den Aushauch ihres Wohlgeruchs, mir nur fühlbarer machen, daß ich noch athme, und ein Mensch bin; und selbst über ihre sterbenden Blätter will ich eine gewissenhafte Rechnung halten, sie, wie sie abfallen, in

9 meine Brieftasche sammeln, und sie nur empfindsamen Freun­ den, als kostbare Reliquien auS dem heiligen Caverac, zeigen. Der ungeduldige Junge hat mir schon zweimal gemeldet, daß alles zu meiner Abreise fertig sey. Er that es, und daS weiß ich ihm Dank — ohne des wichtigen Geschenk- zu er­ wähnen, das er mir so heimlich zugebracht hat. Ich werde suchen, ihm in der Unbefangenheit nachzuahmen, die er -ege» mich über das Vergangene heuchelt. Ich will ihn von nun an nicht weiter als de« Bruder meiner Margot, sondern alJohanns Schwager und meinen Bediente» betrachte», und

nie gegen ihn meine Empfindungen laut werden lassen: denn, kann Etwas unserm Ansehn «achtheilig werden, so ist ewohl die Schwachheit unsres Herzens. Verrathe sie ja keiner, wer sich in jenem bei seinen Untergebenen zu erhalten wünscht! Die Hengste vor meinem Wagen wiehern und stampfen, und der Postillon knallt einmal über das andere. — So muß ich denn wohl mein Tagebuch einpacken. Ich muß fort, trauter Eduard, fort aus der paradiesische» Gegend, wo ich jeneherrliche Mädchen fand, daS einzige vielleicht, da- der Un­ kosten der Liebe noch werth ist.

Avignon.

Abend-.

Kaum hatte ich mich heute Morgens mit meiner Proveneer Rose in den Wagen, und Bastian sich mir gegenüber zurechte

9 meine Brieftasche sammeln, und sie nur empfindsamen Freun­ den, als kostbare Reliquien auS dem heiligen Caverac, zeigen. Der ungeduldige Junge hat mir schon zweimal gemeldet, daß alles zu meiner Abreise fertig sey. Er that es, und daS weiß ich ihm Dank — ohne des wichtigen Geschenk- zu er­ wähnen, das er mir so heimlich zugebracht hat. Ich werde suchen, ihm in der Unbefangenheit nachzuahmen, die er -ege» mich über das Vergangene heuchelt. Ich will ihn von nun an nicht weiter als de« Bruder meiner Margot, sondern alJohanns Schwager und meinen Bediente» betrachte», und

nie gegen ihn meine Empfindungen laut werden lassen: denn, kann Etwas unserm Ansehn «achtheilig werden, so ist ewohl die Schwachheit unsres Herzens. Verrathe sie ja keiner, wer sich in jenem bei seinen Untergebenen zu erhalten wünscht! Die Hengste vor meinem Wagen wiehern und stampfen, und der Postillon knallt einmal über das andere. — So muß ich denn wohl mein Tagebuch einpacken. Ich muß fort, trauter Eduard, fort aus der paradiesische» Gegend, wo ich jeneherrliche Mädchen fand, daS einzige vielleicht, da- der Un­ kosten der Liebe noch werth ist.

Avignon.

Abend-.

Kaum hatte ich mich heute Morgens mit meiner Proveneer Rose in den Wagen, und Bastian sich mir gegenüber zurechte

10 gesetzt; so sah ich schon, daß ich eine Thorheit begangen batte ihm diesen vornehmen Platz anzuweisen. Sein Anblick war

mir so sonderbar im Wege, daß ich beinahe an seine Stelle meinen alten schnarchenden Begleiter aus seiner Verwesung zurück gewünscht hatte, der mir, wie du weißt, immer zu einem guten Gedanken verhalf. Doch da der Meysch einmal La saß, mußte ich ihn nun auch schon sitzen, und mir gefallen lassen, daß sein spähendes Auge, manchmal zu einer ganz ungelegenen Zeit, den freien Aufblick der meinigen hinderte. Ich ließ mir nicht einfallen, als ich durch die Stadt rollte, nach einem Fenster meiner Bekannten in die Höhe zu fah­ ren, oder die römischen Alterthümer, so gewiß ich auch bei ihnen zum letztenmale vorbei kam, nur eines Abschiedsblickes zu wür­ digen. Dagegen zog ich mein Fernglas aus der Tasche, wie ich ins Freie kam, und hob es immer mechanisch vor die Augen, so oft mir die Wendung meines Wagens die Thurm­ spitze von Caverac zu Gesichte brachte. Welche bittersüße Erinnerungen wehten mir immer noch von dorther entgegen! Einigemal wurden sie so lebhaft, daß ich im Begriffe stand, Len Postknecht umlenken zu lassen; so groß war der Kampf meiner Nachwehen: ja, ich verzweifelte, daß die Zeit jemals im Stande seyn würde, dieses nagende Gefühl zu zertheilen. Indeß that ich der Zeit Unrecht, Eduard, und ich hatte mir diese Sorge ersparen können; denn ich will dir es nicht verschweigen, daß mir eine Stunde nachher die Sache lange nicht mehr so r nmöglich schien.

Mein Herz ward müde.

11 Unger für ein Mädchen zu pochen, das so weit hinter mir «ar, und meine sympathetische Rose verlor nach und nach immer etwas mehr von ihrer anziehenden Kraft. Ich fühlte nur noch, daß sie welkte, daß sie mir die Haut rieb, baß sie mir beschwerlich war- — schob sie ein paarmal seitwärts — und steckte sie endlich, da sie mir rS zu arg machte, ohne mich weiter mit ihr einzulassen, in die Weste. Nun ging es, z« meinem Erstaunen, auch mit jeder andern Beruhigung so geschwind, dass ich mich darüber mit mir selbst hätte ver­ feinden mögen. Ich machte mir Vorwürfe über Vorwürfe — nannte mich den Wankelmüthigsten unter dem Monde; aber es fruchtete wenig. Je weiter ich mich von dem guten Dörf­ chen entfernte, je näher ich dem Gebiete des Papstes kam, best» muthwilliger ward mein Blut, und ich betrat endlich daS Comtat mit Ahnungen, die mir angst und bange für mich selbst machten. MS ich über die französische Gränze hinaus war, steckte ich mein Fernglas ein, daS mir zu nichts weiter diene» konnte, schlug munter meine Arme in einander, ließ meine Blicke einige Zett mit Wohlgefallen auf dem hübschen Jun­ gen ruhen, der mir gegenüber saß, ward bald nachher seines ehrerbietigen Stillschweigens müde, und forderte ihn, indem ich zugleich mit Verwunderung nach meiner Uhr blickte, end­ lich selbst auf, mich von seiuer Schwester zu unterhalten. Er schien nur auf meinen Befehl gewartet zu haben. Ich erfuhr von ihm, daß er da- Haus in den großen Anstalt««

12 zu ihrer Hochzeitfeier verlassen habe, hörte es ohne merkliche Bewegung, und, indem mir mancher im Geschmack des Ostade gelungene Zug seines Gemäldes ein gutmüthiges Lächeln abnöthigte, rührte es mich öfter noch durch die feinsten Züge, die selbst ein Poussin zu seinen arkadischen Bildern, oder ein Berghem zu einem Stillleben nicht würde verschmäht haben. Nachdem ich die Kunst seiner Darstellung lange genug bewundert hatte, und mancher verstohlne Blick, den ich mit­ unter dabei in mein Herz that, mich hoffen ließ, daß ich mich noch angenehmer mit mir selbst unterhalten würde, drückte ich meinen Hut um einen Zoll tiefer in die Augen, und legte mich in die Ecke des Wagens. Bastians Takt war

auch fein genug, mich zu verstehen. Er besah den Aufschlag seines Rocks — blies eine Feder davon ab und schwieg. Un­ gesucht legte sich nun das Glück so vieler guten Seelen, das ich mir aus dem Vorhergehenden deutlich genug vorstellen konnte, als der reichhaltigste Tert meinen Betrachtungen unter: er stand, sammt allen seinen möglichen Folgen, in einem so sonderbaren Zusammenhänge mit dem heillosen Schnupfen, den mir die Bise zu Nimes an die Nase warf, daß ich nicht genug den Zufall bewundern konnte, der so heterogene Dinge zu vereinigen wußte, um, wie es mir vor­ kam, durch den systematischsten Gang von der Welt, am Ende auch noch meine eigene Zufriedenheit zu bewirken. 3« wohl, Eduard, meine eigene Zufriedenheit! denn ich ging hier nicht so leer aus, als du dem erste« Ansehn nach

13 wohl denken könntest. Wolltest du wohl das wieder erlangte Vermögen — um ein Mädchen seufzen, und den Glücklichen beneiden zu können, dem ihr Besitz zu Theil ward — für nichts achten? Wie wäre mir noch vor vier Wochen in Berlin so etwas eingefallen? — Der ganze Hof, von dem Vornehm­ sten bis zum Geringsten, hätte sich zwei- und dreimal verheirathen mögen — ich würde mich wenig um das Glück ihrer ersten Nächte bekümmert, noch weniger daran geglaubt, oder nur Einen Augenblick gewünscht haben, in ihrer Lage zu seyn. Au solchen menschlichen Wünschen gehört eine gewisse Spannkraft des Herzens, von der ich schon langeher keine« Begriff mehr hatte, und ohne die doch selbst ein Monarch — zwar groß und bewundert, so viel du willst — aber für seine Person nie so glücklich sepn wird, als der Tagelöhner, dem sie die Natur, vielleicht zur Entschädigung für alle andre ihm versagte Herrlichkeiten, in vollem Maße geschenkt hat. 3" welchem wohlthätigen Lichte mußte mir als» nicht der Aufall erscheinen, der mich zwar mit einer kranken Nase nach Caverae brachte, mich nun aber dafür mit jenem männlichen Bewußtsepn in die offene und mädchen­ reiche Welt weiter schickte! Diesen schnellen Uebergang von Kleinmuth zu einem edeln Selbstvertrauen, das über den erschlafftesten Geist Wohlbehagen verbreitet — wem habe ich eS zu verdanken, als allein dem mächtigen Aufalle? „So sollst du mich denn, du Freund aller der Weisen, die ohne Anmaßung, ohne Rechnung und Forderung, ihr

14 Leben durchschlendern, auch fernerhin leiten," rief ich andächtig aus, stieß all die üderNugen Aussprüche, die mir seine Wirklichkeit verdächtig machten, mit Gewalt »on mir, und fand ihn, bet zunehmendem Nachdenken, auf allen Blät­ tern der Menschengeschichte, unwiderleglich bewiesen. Ich übersah den Umlauf irdischer Dinge — ihre Anlagen, ihre Absichten, und ihren Erfolg, in einigen ernsten Minuten. DaS Feuer der Ode ergriff mich — Ich warf dedeutende Blicke bald auf das päpstliche Gebiet, das, wie ein Ball des Ungefährs, vor mir lag — bald auf Bastian, der seine Augen »on dem Brande der meinigen wegwandte und zit­ terte. Es flogen mir niehr Gedanken zu, als mein Gehirn ausfaffen konnte. — Ich knetete nur die zusammen, die sich am nächsten wagten, und überließ den übrigen Dorrath größer» Dichtern, die, wenn sie wollen, ihn zu einem dikken Gesangbuche »on Klag- und Trostliedern verarbeiten mögen, das gar auch wohl einmal — wer kann dafür stehen? seine Gemeinde findet. „O du!" — rief ich mit innerer Erschütterung aus, die selbst, wie ich vermuthe, meine Ge­ sichtsmuskeln verzog: denn Bastians Unruhe war nur zu sichtbar, und verrieth nur zu sehr, wie bange ihm in mei­ ner Nähe seyn mochte. Aber welcher Dichter, der in der Begeisterung liegt, bekümmert sich um daS staunende Gaffen seines prosaischen DienerS? —

15 Du, der auf unsrer Pilgerreise

Bald Blinde fuhrst, bald auö dem Gleise

D e Führer anderer verdrängst; Belasteten da- Leitband ihrer Fesseln Oft selbst im Riesenarm der Tyra n n ei zersprengst

Und einen Zaum von Nesseln Ihr in die Fäuste hängst!

So weit de- Adler- Augen sehen,

Dom Gotthard zu den Pyrenäen, Dom Rhein bi- an den Quell de- Nil-, Horcht die Natur vom Isop bi- zur Zeder

Rur di r, und von dem Schwarm, der nach dem Kranz de- Ziel-, Hinstr-met, diener jeder

Zum Würfel deine- Spiel-.

Zwar nennen d i ch die stolzen Buhlen

De- Sokrate- auf hohen Schulen Verwegner Phantasiern Kind: Doch fühlen sif erschrocken dich, und heulen , Gebeugt von dein er Kraft, die Nächte durch und lind

Scheu wie Minerven- Eulen, Und deinem Glanze blind.

Sie scheu'» de- Schöpfer- Plan zu schelten,

Daß er von Myriaden Welten An d i ch den Ball der unsern band;

Begreifen nicht, daß er nur seine Zügel

Zum Lehn dir übertrug, weil Ordnung und Bestand Er diesem Todreubügel

Nicht angemessen sand:

16 Nein! sie begreifend nicht, und stellen Den Sturz, selbst ihrer Mitgesellen, Als Zweck zum Wohl des Ganzen dar. Des Staubes Sohn berechnet nicht, wie eitel Für ihn daS Ganze sei, und, trotzend der Gefahr, Ruft er: Don meiner Scheitel Fällt ungezählt kein Haar. So opferten im Spiel der Lanzen Sich Tausende dem Wohl des Ganzen, So wenig auch ihr Wahn gelang; Indeß hältst d u, den ein Lukrez erhoben, Und den von seinem Sitz kein Pollgnac verdräng * In Ordnung unsern Globen Und sein Gewirr im Gang. So war's nnr Spielwerk deiner Grillen, MaS, als VeweiS vom höchsten Willen, yluf Welt und Nachwelt überging? So kam allein die komische Verkettung Don dir, die unser Hell an einen Fischerring, ** Und Galliens Errettung An ein Paar Handschuh hing. * Der Kardinal von Pollgnac, der den Antilukrez geschrieben. ** Ring deö Papstes, womit die apostolischen Breve benegelt werden. DaS Siegel stellt den heiligen PetrnS alS einen Fischer vor. tum Sin Paar neumodische Handschuhe, die Sara Jennings, vermählte Herzogin von Marlborough, sich weigerte, ihrer Freundin, der Königin Anna, abzutreten, verursachten in einer Reihe von Folgen die große Revolution, durch die Philipp der Fünfte ans dem spanischen Thron befestiget, Oesterreich davon ausgeschlossen, der verdunkelte Ruhm Ludwigs deS Vierzehnten wieder

17 Ähr Seher

steigt von euerm Sitze,

Steigt, wenn ihr konnt, bi- zu der Spitze^ Wo menschliches Verhängnis schwebt: Wird nicht die Schnur der folgenreichen Stunden,

Die auf dem Rad der Zett sich zu entwickeln strebt,

Dom Z u fa l l aufgewunden,

Dom Zufall abgewebt? Wer öffnete von allen Zwergen Auf euer« Warten Guttenberg en

Und Fauften der Erfindung Thor?

WaS auSzuspahn kein Doktorwitz vermochte,

Im Dickicht der Natur seit Seculn sich verlor,

Bet guter Laune pochte

Sein Jagdspieß eö hervor. DaS Wild springt auf — und nun erst fetzen

Ihm eure Jäger nach, durchhetzen Die weite Welt nach seinem Lauf:

Sie fangen eS, sie satteln eS, sie führen ES ohne Ruh' und Rast zur Schau und zum Verkauf,

Und rennen Thor und Thüren Zu seinem Einlaß auf.

Ihr Lärm von Trommeln und Posaunen Treibt alle Messen neue Launen

Auf GuttenbergS Gefahr herbei;

hergestellt, und die stolzen Hoffnungen seiner Feinde vereitelt wurden.

Der

Keim dieser großen Begebenheiten kam auS den Händen eine- armseligen franr zößschen DeutlerS, dem eS nicht träumte, waS für glückliche Folgen für fdnen

König und für sein Vaterland der Zufall in sein Tagewerk legen würde.

Thümmel, sämmtl.

Werke. II

2

18 Ihr wüthend Heer auf Fausten- Mantel schwebet

DtS in das Feenland -um Thron der Schwärmerei , Selbst der Olymp erbebet

Don ihrem Jagdgeschrek.

Kein Laut zufälliger Gedanken

Entfahrt dem Mund, ersteigt die Schranken

Der Nachwelt ohne Wiederklang; Kein Lied verhallt, und wenn e- auch in Nächten

Wollüstigen Tumult- ein kranker König sang; *

E- kürzet den Gerechten

De- Leben- Uebergang.

O Z u fa l l! freundlicher Erhalter Des Lorbeer-, den uns Neid und Alter

Gern von dem Haupte nimmt, verleih Auch mir den Schutz, den du dem hohen Sänger

Verliehst, daß mein Gesang gleich seiner Litanei, Noch manchem Müßiggänger

Der Nachwelt heilig sei.

Wie vieler Unsinn, klug betitelt,

Hätt' e- d e i n Kompaß nicht vermittelt, Schwamm' unbemerkt im Strom der Nacht!

Dir danken wir die Kunst, den Schall zu mahlen,

Du hast manch Quentchen Witz zu einer Eentnerfracht

Erhöht, und Kern und Schalen Der Schreibsucht statt gemacht.

* Erst in neuern Zeiten wird da- Hohe Lied für da- gehalten, wa- e- ist, nachdem mystische Andacht ihr Spiel lange genug damit getrieben hat.

19 Gewobn! dem Grübler nachzuwandern, So Welt ein Zirkel in den andern

Dis über unsre Gränzen tritt, Sprichst d u ihm Hohn, wenn er das Unstchtbare

Sn einer Deft sticht, die noch fein Mensch beschritt Und bringst dafür uns Waare,

Die wir bedürfen, mit.

Der Propagande Jünger dringen,

Für Gott mehr Ernten zu erringen, Dis in der Bonzen Heiligthum,

Der Feind verdirbt zwar ihre frommen Saaten: Doch du entschädigst sie, tu schickst sie heim mit Ruhm, Mit Putern und Pataten In's Refektorium.

Und Heidenkost strömt neuen Segen

Auf Länder, die des Lichtes pflegen,

Das aus der Offenbarung strahlt. Schmaust ein Prälat — seht, ob nicht in der -jxitte

Des christlichen Gelags, das die Kommun bezahlt.

Ein fetter Profelyte

Des Lands Kalkutta prahlt -

So bringen selbst aus d e in en Schachten Die Heiligen, die d i ch verachten, Beweise dein er Huld an Bord; Europens Ruhm trägst du nach China fiter,

Führst uns Rhabarber zu, getauscht um Gottes Mott,

Und peitschest deutsche Fieber

Mit Peru's Ruthen fort.

20 So trage denn, o mein Begleiter Und Freund, auch meinen Schnupfen weiter

Rach Monomotapa, zum Schach. *

Dort stiert man der hohen Zirbeldrüsen

Getös: kaum niest der Fürst, so tuest da- Vorgemach;

Dis an die Gränzen niesen Ihm seine Sklaven nach. Doch, ohne Nasen zu verhöhnen,

Die Hof und Stadt und Land durchtönen, Wie viel hingst d u der meinen an!

Hingst d u nicht ihr die jugendliche Runde,

Die ich nicht ganz umsonst um Amor- Zelt gethan

Und die Dollendung-stunde Der guten Margot dran 7

Und alle die Lrobrungsplane, Die Amor dem zu 1 h r er Fahne

Geschwornen Fremdling überträgt — Da- falsche Kind! Wie freundlich, wie ermuntert.

Giebt sie die Rosen Preis, die ich so treu gehegt Und die ihr Freund verwundert Nun, Blatt für Blatt, zerlegt. Hört mich, ihr Glücklichen! Verirret

Luch nicht zu wett! Der Zufall schwlrret

Dem Traume nach, der euch verzückt:

* Au Moaomotapa, quaad le roi tterna«. pellte»»« obligi» d'dterauer.

toa» le» courtiean» »oel

per

L’iterauement gagnant de la eour ä la rille,, «•

de la rille aux jrovieice«. tout Fempire paroit affligi d’ua rkem» giailral Helvetia» de FE e p r i t p. n. 118.

21 Ach! mkgllch, laß auf eutrm Schwanen bene

Zu rasche Lüfiemheit ein Wese» ntederdrückr,

Das an des Schicksals Kette Mehr als ein Glied verrückt!

Doch möglich auch der WethungsfiNle, Daß Merciers erhabne Grille Mir in die Zukunft überschwimmt,

Und daß vielleicht dieß Kinderspiel, das sausend Mir jetzt das 06t zerreißt, den Gang des Wohllauts nimmt

Der zu dem Jahr: Zweitausend Vierhundert vierzig stimmt; •

Und daß, der nächsten Nacht entsprossen, Ein Keim, so «wuchernd nur Genossen

Der Tugend, an einander reiht, Au- deren Schooß zum Wohl der bessern Erde,

Gott, welch ein Traum! der Genius gedeiht, Der einst der Menschenheerde Das höchste Gut verleiht. Wohlan! so folg' ich deinen Zügeln

Gutwillig, d u, den auszuklügeln

Gelbst Meistern nicht vom Stuhl gelingt;

Weil doch der Weg zum wahren Menfchenglücke,

Den oft ein Magus zeigt, der selbst die -stände ringt. Uns eher an die Krücke, Als an die Scheibe bringt.

♦ L’Aii dcax *üle jueire cent guareete, per M. Mereies.

22 Nichts ist doch geschickter, uns sanft über eine» lästigen beitraum zu Hede», als der Bau einer Lde. Ich hatte «eine Station so unbemerkt zurück gelegt, da- mich die ausgezackten Mauer» von Avignon mitten in meinem hoch­ tönende« Gesänge, wie ein Epigramm, überraschten, das den ernsten Gang eines Heldengedicht- unterbricht, und «ns zum Lächeln bewegt. Kaum hatte ich noch Jett, meinem Feentempel de» Schlußstein aufznsetzen, al- ich mich schon mitte« auf dem Markte befand. Doch konnte mich da- Ge­ räusch, das mir von allen Ecken her zuströmte, so wenig in meiner fortschreitenden Andacht stören, daß ich vielmehr, um sogleich von der ftomme» Sorglosigkeit, zu der mich meine Hymne gestärkt hatte, Gebrauch zu machen, und noch ehe ich de» schmutzigen Gasthof bettat, vor welchem ich auSstteg, meinen Bastian abfertigte, mir in der Stadt irgendwo ans gut Glück eine Wohnung zu suchen. Ich hätte dem b« f«ll auf keine thättgere Art mein unbegränztes Zutrauen beweise» können, als daß ich die bedenk­ liche Dahl meines Quartiers einem jungen Flüchtlinge überließ, der nur seit wenig Stunden in meinen Diensten stand, meine» Geschmack nicht kannte, und die erste Probe des setnigen in einer ihm ganz ftemden Stadt ablegen sollte — in einer Stadt, wo der Vorzug, den man einer von den vier Klassen ihrer Einwohner giebt, feine eigene Gefahr hat, und wo es nicht gleichgültig ist, ob man sich,bet einem Orangenhandler, bet einem Inden, neben

83 dnem geistlichen Herrn, »der bd einer Sddenspinnertn dnmtethet. Ich machte unterbess einen Spaziergang nach der Burg des Legate«, die, wie fast alle Prälatenschlösser, ihre demü­ thige Lage ans dem höchsten Flecke der Stadt hat. Der Hansknecht, der mich dahin führte, schwatzte mir unterwegs »iel von einem dort defindlichen offenen Platze vor, ans welchem man das ganze päpstliche Gebiet übersehe» könne. Ich nahm seine Versicherung in dem eingeschränktesten Sinne, den er vermuthlich nur darein legen wollte, und fand daher die Ansicht der herrlichste» Gegend, die, da ausgebreiteteS grosses Gemälde, da lag, für mein ldbliches Auge so erquickend, als dn Ermüdeter nur wünsche» kann. Ans diesem schönen Vorplatze deS geistlichen PalastS soll zu Zeiten ein gewaltiger Zugwind herrschen, der über die fran­ zösische Gränze herkommt, und dem Legaten, der «te viel Gutes von daher erwartet, »ft den Athem versetzt. Heute, zu meinem Vergnüge», ruhte er in dem Abend-lanze der Sonne, die gerade über ihm stand, als ob sie mdner «artete. Mit welcher Freundlichkeit begrüßte sie hier den erste» Lag deS Jahres, den sie höchstens nur matt bd Such überschimmett l S, Ihr arme« erfrorneu Berliner! Wie glücklich fühlte ich mich kn diesem «armen Augenblicke gegen Such, da ich an de» beschwerlichen Kreislauf zurück dachte, in welchem Such das neue Jahr zu dem alberüsten Vertausche abgenützter Wünsche herumtteibt, die Ihr «tt erstarrender

24 Zunge einander seil bietet, «ährend daß ich mich im Son­ nenscheine gleichsam badete, und nur in Gedanken fror, wenn ich mich unter die Sonne meiner Heimath »ersetzte. Wahrlich, eS scheint nicht dieselbe zu seyn — so unvergleich­ bar ist sie sich selbst in dieser Verschiedenheit. Al- hätt' ctn Vorgefühl der Freud« Die- Insarnat ihr angeweht,

Tritt sie hier auf In ihrem Sonntag-kleide, Erol-, wie ein Bräutigam au- seiner Kammer geht.

Da sie. -et Gott! Im Dunstkreis eures Landes, Kalt, abgeiehrt und a-ge-leicht,

Wie ein Skelett des Ehestandes Am Horiront vorüber schleicht.

Ich stand lange ganz unbeweglich auf diesem Sonnen­ platze, sog ihre wohlthätigen Strahlen ei«, wie die Säule deS Memnoa, und baß ich auch nicht ohne Klang war, »rigt Dir die Harmonie meiner Rebe. Bastian war mir schon eine Weile unter die Augen ge­ treten; aber ich blinzte in daS majestätische Licht, nud er mußte mich «nreben, um mir seine Gegenwart bekannt zu machen. „Wollten Sie wohl," lispelte er mir endlich t«, „einen Ihrer feurigen Blicke auf die Wohnung werfen, die ich Ihne« «uSgemacht habe?". — „So! mein Herr Abgesandter," erwiederte ich, „ich h-re du bist wieder zurück, den» sehen kann ich dich durchaus

15 nicht." — Wirklich war ich t« diesem Augenblicke in so ho­ hem ©rabt geblendet, da- ich glaube, Paulus und Schwe­ denborg habe« nur einige Minute« länger i« die Sonne gesehen, «m jene unaussprechliche» Dinge zu entdecken, die ««sere gemeine Vorstellungskraft so weit übersteigen. »Ich hoffe," fuhr Bastian fort, „das Quartier wird Ihuen gefallen, wen« Eie nur Ihres Gesicht» erst wieder mächtig sind. — Wie? Sie suche« mich ja auf der Gegen­ seite — Sehen Sie m«ch denn noch nicht? Met» Sott, wie Angst machen Sie mir! Ach, mein Herr! mit der hiesige» Sonne ist nichtz« spaße«." — „O, mit der hiesigen habe ich es auch nicht gethan, mein lieber Bastian," antwortete ich und rieb mir die Angen; „wen» mir die Berliner Sonne mir nichts nachträgtl Doch führ« mich in meine Miethe; den« meine Blindheit, Gott ftp Lank! fängt an z« vergehen." — „ Der Weg dahin ist nicht weit," fuhr Bastian nun »n seinem Hauptberichte sttt, indem er, stolz auf seine gute Verrichtung, ziemlich anmaßltch neben mir herttabte. „Eie werde« das Quattter gewiß lieb gewinne«, denn zufälli­ ger Weift liegt es an der MtttagSseite. Ain Helles freund­ liches Haus — eine schöne begueme Sttege, die in eine» große« Dorsaal führt, aus dem Sie in ei« wettläustige» Zim­ mer tteten, an das eine Kammer mit dem arttgsten Bette, und an diese wieder ein Derschlag stößt, der eine keine Bibliothek enthält. Unter dem Spiegel in de« Hauptgemache

26 ein schlafender Amor von Marmor — und Rousseau'S Düste von G»pS gegen über auf dem Gefimse deS Kamtns — und daS alles, mein Herr, tu dem erste» Stockwerke! Aber, das Beste kommt noch: St« find, so lange es Ihne« gefällt da »u wohne», allein Herr im Hause; denn es gehbrt einer todte« Hand zu — dem Hospitale der Probstet, dem eine andächtig« Seele die Einkünfte davon vermacht hat. Ei» eiuzelnes altes Weib, die man für nichts rechnen kaun, ist 'auf der Seite der große» Stube Ihre Nachbarin, aber wie hier durch die Mauer, so auch auf dem gemein­ schaftlichen Dorsaale, ganz von Ihnen geschieden. Das Weib ist aus der Kommun des HoSpttalS genommen, und in dieß HauS gesetzt, um eS in Aufsicht und Beschluß zu halten, und fit macht ihrem Amte Ehre. Zufällig traf ich eS so glücklich, daß sie eben auS der Messe kam, als ich vor ihrer Thüre stand, und das logement 4 dem louis per etinaine nicht recht herauöbringen konnte; denn vermuthlich ist daS Haus schon für sich in zu gutem Rufe, als daß es einet leserlichen Aufschrift bedürfe." „Ich fand," fuhr mein geschwätziger Geschäftsträger fort, „die Zimmer, das Geräthe und die gan;e Gelegenheit arti­ gen»- für einen etnielnen Herrn; aber den Miethzins bei alle dem »u hoch. Doch konnte ich es nicht über daS Herz dringen, dem alten Mütterchen ei» geringeres Gebot »u thu«, da jeder Liard, wie fie mir sagte, den daS HauS ab­ wirst, unter Nothleidende »ertheilt wird. Dieser Umstand,

27 dachte ich, ist gewiß deinem guten Herr« mehr werth, «lbie paar Livres, die er vielleichtz« viel bezahlt! Doch ta­ tst seine Sache, der Handel ist ja «och nicht so fest abge­ schlossen, daß eS nicht bei ihm stände, ihn fallen»« lassen, wenn ihm die Wohnung, di« Wirthin, »der der Preis nicht gefällt." Ich habe dir, lieber Eduard, da- ganze umständliche Geschwätz meine- Gesandten hergesetzt, weil e- mich der Mühe überhebt, dir meine sch-ne Wohnung selbst z« be­ schreiben. Sie empfahl sich mir schon durch da- znfälliger Weife, da- Bastian einigemal so geschickt «»brachte, als hätte er meine Ode gelesen, und ich hatte sie schon in Gedanken gemiethet, eh« ich mich «och mit eigenen Ange» überzeugte, daß sie deS Zinses «etth sei, den ich allenfalls, (darin hat Bastian Recht,) nur als ein wöchentliches Almo­ sen ansehen darf, um ihn nicht zu hoch zu finden. Hätte mich etwa- von dem Handel abschreckm können, so wäre «S wohl die alte Ausgeber!» gewesen, bei der es beinahe ««möglich ist, eine gute Absicht der Zufall- zu ver­ muthen. Sie ist daS wahre Gegendild meluer vortreffliche» Wirthin zu Caverac, für de» Anblick sowohl als für da» Herz. Da ich nicht so gern .Runzeln mal« als Denner, so scheide ich von ihrem Porträte, selbst ohne näher z« 'Un­ tersuchen, ob sie des Criminia rugarum *) so schuldig sei, * Sei licet ul careat rugarum crimiae realer,

Sleraelur pugnee triitii areaa tuae.

0 v id. ▲ mar. lab. I. eleg, 14. v. 1, 8.

«8 «IS es leider! daS Ansehen hat. Fromm, wie man es hier )« Lande nennt, mag sie wohl seyn: denn sie ist mit so viel Heiligenbildern, Amnleten «nd Rosenkränzen behängt, daß sie bet der geringsten Bewegung klappert, wie ein Skelet im Zugwinde. AiS sie mir mein Studengeräthe, zugleich mit dem Verzeichnisse davon, übergab, that sie mir die freundschaftliche Erklärung, da- sie, außer dem, w«S sie mir hier zum Gebrauche überließ, sich weiter um keines meiner Bedürfnisse bekümmern könne; «nd daS ist mir auch ganz recht. Mit dem Anfänge jeder Woche, fuhr sie fort, würde sie den bedungenen MiethzinS abholen, nahm den jetzigen in Empfang, und empfahl sich meinem Gebete. Ich untersuchte nun etwas genauer, was mich umgab, fand alles reinlich «nd artig, aber ohne Schmu», wenn ich den schlafenden Amor ausnehme, der anS weißem Marmor und wirklich schön gearbeitet ist. Wie mag sich ein solches KabinetSstück in dieses HauS verirrt haben? Ich begriff u hul­ dige«, der auch in Sonnenstäubchen Farbe« bemerkt, die sich zu seinen pstzchvlvgtschen Schattirungen benutzen lassen; und würde Dir nicht die Sicherheit seiner Hand gefallen, die mit so kleine« Mittel» die Mrkung eine- Rüden- her­ vorbrächte 1

$4tte mir Bastian auch nicht gesagt, daß Klärchen den Engel gesäubert habe, e- wäre doch für mich entschieden gewesen, daß e- nur eine jungfräullche Hand setz« könne, die e- that. Sie hatte die Figur im Ganzen zwar funkelnd und weiß wieder hergestellt, bi- auf eine Kleinigkeit, die, da sie unmöglich zu übersehen war, ihr also wohl so erstaun­ lich befremdend gewesen s,»n mußte, daß st« ihre Baumwolle darüber verlor. Dieß, schloß ich «etter, würde ihr nicht geschehen seyn, wenn sie mehr bewandert in der Mtzthvlogie, weniger fremd'in der Naturgeschichte, und nicht so schreckhaft

78 Kitt, wie ein kleines Kind, das bei allem, was ihm unge­ wohntes aufstößt, große Augen macht und davon lauft. Ich schloß ferner, und, wie ich glanbe, sehr richtig, daß, da sie die Figur so gar wenig kannte, sich wohl «och kein Miethmann rühmen könne, daß ihn die schöne Nachbarin auf der Stube besucht habe, in welcher der Engel schläft. Und ich schloß endlich, daß, bei allen ihren petrarchischen Borberei­ tungen und ihrem Umgänge mit drei geistlichen Vätern, ihre Kenntnisse doch zum Erstaunen beschränkt, und von einer so ruhigen Einfalt seyn müßten, «IS sie wohl noch nie auch der strengste Richter von einer Heiligen verlangt oder erwar­ tet hat. Das alles, Freund, schloß ich ans dem Stande, der, höchstens in der Länge eines Zolls, an dem schlafenden Engel zurück blieb. Ob man von dem Gesichtspunkte, den ich in's Auge gefaßt hatte, allemal ausgehen müsse, um über den Werth oder Unwerth eines räthselhaften Mädchens zu urtheilen, will ich nicht entscheiden; so viel ist aber gewiss, daß Klär­ chen durch den Mangel ihrer Kenntnisse, und durch das augenscheinlich erste Schrecken ihrer Hand, unendlich in meiner Vorstellung gewann. Auch die einzelnen Züge, die ich vorher schon von ihr aufgefaßt hatte, wurde» durch die­ sen noch hervortretender, und tru-en daS ihrige bet, mich mit mir selbst über die Ehrfurcht zu vereinigen, die ich einer fo frisch erhaltenen Lugend schuldig bin. Ach! wenn es wahr ist, daß es Heilige giebt — und wie könnte ich

79 letzt daran zweifeln? — so verdient Klärchen wohl diesen Lite! vor allen ihres Geschlechts: Sie, die schon als Kind aut in den Kramladen der Klister ihre Spielwerke suchte und immerfort, wir die Figur zeigt, unbekannt mit denen blieb, die für ihr Alter gehören; Sie, deren Stimme «och unverdorben blieb, ob sie gleich so oft mitihrewBeichtvätern gewechselt hat, wie ich mit meinen Spazier- Schuhen, das heißt, bis ich ein'Paar gefunden habe, das mir recht'fitzt. W«S hat mir nicht alles Herr Fe» von ihren kleine» Spekulationen erzählt, die mir nach und nach wieder bei­ fallen «erden: Sias nur davon: Ihr erster Vertrag mit der 'Maria — ist er nicht eben so fein auSgrdacht, als er fromm ist? Ich frage dich selbst, Eduard, welche Schöne würde bet dem Uebergange in die Zeit ihrer Rosen so viele Besonnenheit behalten, als dieses unschuldige Kind? so daß eS sie alle, -wie sie unter seiner Hand «Nffchießen, mit der minorenn,» Angst, es möchte die ganze Stadt ihren Reich­ thum erfahre«, und mit der Sorge in Empfang nimmt, was eS damit anfangrn, und wer fie bewachen solle? und bet der Unerfahrenheit, welche wohl' dem Verwelken, welche der Beraubung am nächsten sey? einzeln erst diese — dann jene, nnd endlich de« ganzen Strauß — der Mutter io den Schovß legt. Es liegt ei« System von Unschuld in diesen kindische» Begriffe», daß ich den Kurzsichtigen bedanrrn würde, der keinen Zusammenhang darin sande. Er muß nie ein unbefangenes Herz unter Auge» gehabt — nie eine

80 Klara gekannt, »der gar das Unglück Haden, an keine weib­ liche Lugend zu glauden. Für eine svlche Heldin ihres Geschlechts, als ich dir jetzt

gemalt hade, Eduard, könnte ich selbst meine Stimme zu den Beiträgen ihres verarmten Vaterlands geben, um ihre

Seligsprechung zu befördern; um so mehr, da eine so billige

Steuer schwerlich öfter als Einmal in einem Jahrhunderte Vorfällen dürste. — Und gegen dieß herrliche Geschöpf konnte ich auf Augenblicke verblendet genug seyn, niedrige Absichten zu hegen?

„Fahre mm fort, Bastian," rief ich aus einer Art von

Bedürfniß, eine andere Stimme zu hören als die meinige;

denn ich hatte mir nichts Höfliches zu sagen. — „ Sie suchte mich auszuforscheu," fuhr der Erzähler fort—„Wer denn?" unterbrach ich ihn. — „Sie sind zerstreut, mein Herr,"

antwortete Bastian: „Sie haben verhört, w«S ich

alte Tante war es, die mich wollte,

»der vergessen,

Ihnen eben in diesem Augenblicke erzählte.

den Ihnen

adstattete.

diese» Morgen der Herr im

Diese vornehme

Die

über den Besuch ausforschen

Purpur

Bekanntschaft mochte in ihren

einfältigen Augen wohl einen gewaltigen Glanz auf Sie

werfen, mein Herr.

Ich wußte nun fteiltch selbst nicht viel

davon; aber was thut das? Man muß niemanden seine gute Meinung von andern benehmen,

am wenigsten ei» treuer

Bedienter, wenn es das Ansrhn seines Herrn betrifft; muß man im gemeinen Lede« denken,

so

wie man in der

8t Religion thut. Auch suchte ich es so sehr aufzustutzen, als ich konnte, und so erzählte ich am Ende mehr Rühmliches von Ihnen, mein Herr, alS mir selbst bekannt war. Was wol­ len Sie sagen, Maibam^ antwortete ich: bas ist nicht der erste Purpurmantel, de» mein Herr vor seinem Bette fleht. Von einem Erzbischof, von einem Prälaten an den andern empjohlen, wird er von alle» wie ein Freund vom Hause empfangen. CS ist ein Spaß mit so einem Herr» auf Rei­ sen zu seyn; den» wo wir nur hinkoMmen, fliegen «nS die vornehmsten Geistlichen wie die Spatzen i»S Hauö. — Sollte nicht etwa sein guter Herr, muthmaßte dabei die Alte, gar die fromme Abflcht haben, zu unserer emztg selig machenden Religion überzugehen? — Kan» wohl seyn, erwiederte ich, und ich wünsche eS von Herzen; denn seine jetzige mag so gut sey» wie fle will, so fleht man doch wohl, wie blaß und mager er dabei geworden ist. — Das dünkt mich auch, fiel mir hier Mainsell Kltrra ins Won: er dauert mich, wenn ich ihn austhb. — Saßt es gut seyn, Kinder; war zuletzt der Ausspruch der Tante. Ich 'müßts mich sehr irren, wenn es bei einem Manne, det solche Anzeige» giebt, der so weit her kommt, um unsere Klerisei aufzusuchen, der einen so verständigen Menschen von unserm Glaüben, sagte die Tante, in seinen Dienste» hat, und der seine Wohnung bei uns nahm, eS müßte sonderbar zugehtv, wen» eS bei dem nicht zum Durchbruche kommen sollte. — Hier schwieg fle, und da ich an ihren Lippen und Zeichen sah, daß fle ein läimnrl. Werk. U 6

8t Paternoster für Sie betete, so that ich ein Gleiches; auch Klärchen setzte den Engel bei Sette, schlug ihre Augen in die Höhe, und knötelte an ihrem Rosenkränze, und cS war einige Minuten ganz still auf dem Vorsaale." — „Ist das der Anschlag, den die Alte auf mich hat?" fragte ich meinen Bastian lächelnd. „Nun, der mag wohl noch hingehen — aber nur weiter!" — „Ach! mit welchem Seclenvergnügen," fuhr er jetzt noch lebhafter fort, „ haben Tante und Nichte die Andacht nicht heute Morgens bemerkt, mit der Sie, mein Herr, als ob Sie schon jum Kapitel gehörten, dem heiligen Hochamte beiwohnten!" — „Was sagst du?" fuhr ich ans: „Klärchen war in der Kirche, und ich habe eS nicht geahnet?" „ Und doch " — erwiederte Bastian, „ stand sie gar nicht weit von Ihrer Loge. Als Hausgenosse hatte ich mich neben sie gesellt; aber Sie waren so vertieft in Ihre eigene Andacht, daß Sie die unsere gar nicht gewahr wurden. Ich wünschte. Sie hätten daS liebe Kind beten sehen! Sie erbaute den gangen Zirkel, der um ste her kniete, und ich bin versichert, eS wurden ihr aus allen Elken und Enden mehr Blicke, mehr Seufzer gugeschilkt, als der heiligen Genoveva selbst." — „ Hole mir eine Flasche oeil de pcrdrix, Bastian!" unterbrach ich hier den Schwätzer. „ Thue dir auch selbst für deine heutige leibliche und geistliche Anstrengung etwas

83

zu gute. — Hter hast tu einen kleinen Thaler dazu: aber um meine Bekehrung bekümmere dich weiter nur nicht! Hörst du?" Bastian we hte eine erbärmliche Miene, steckte fein Trinkgeld ein, und ging. Der gute Narr! Könnte ich in feine Munterkeit, in feine fröhliche Laune, in feine blühende Gesichtsfarbe und in feine Jugendkräfte so leicht übertreten alö in feine Religion! —! Don so einem Umtausche ließe sich schon eher sprechen. Cr kam bald wieder zurück, setzte mir den Wein stillschweigend auf den Tisch, und entfernte sich mit einem so bedeutenden Blicke, als wollte er mir sagen: Brauchen Sie nur dieses Mittel! es ist das wirk­ samste zu Ihrer Bekehrung. Nun, das wollen wir sehen, dachte ich, zog den Pftopf ans der Bouteille, und warf ihn wider die Wand.

AdrndO cilf Uhr. Ich habe in meinem Tagebuche eine Lücke von sechs wich­ tigen Stunden auszufallen. Ich möchte sie auch nicht bis zu dem andern Tage verschieben, selbst nicht, wenn ich dis zu seinem Anbruche fortschreiben sollte. Rur bitte ich dich, Eduard, gieb genauer Acht, als gewöhnlich; denn ich bin im Begriffe, dir einen neuen Beweis von der ungleichen, schwankenden und materiellen Zusammensetzung meiner Seele zu geben, der vollständiger ist, als alle vorhergehenden. Ich

84 selbst, -a ich ihn niederschreibk, Wichte beinahe glauben, daß ich, seit der »origen Blattseite, «m -eh« Jahre zurück getreten sey; so ausschweifend muß ich mich, wenn ich der Wahrheit Ire« bleibe« will, auf dieser hier schildern. Welch ein unbegreifliches Wesen, das in tost wirkt k Ich hoffe für das Glück der Welt, daß die Form davon, wie bei Rouffeau'S Seele, -erbrochen seyn soll, und daß meine ein­ zelne Anomalie in dem Untverso nicht so gar viel zu bedeu­ ten habe. — Doch wozu diese Vorrede? Sie ist «ach der Ieitordnung, die ich doch gern beobachte, viel zu voreilig. Ich will mich fassen! Denn wenn du die Anklage meiner selbst richtig beurtheilen sollst, so mußt du ja wohl erst sehen, wie und wodurch ich sie verdient habe. Sobald sch diese« Nachmittag den Pftopf aus der Hand warf, und mich mit meiner Flasche allein sah, entrnnzelte sich meine Stirne, die noch von dem System her, das ich mir von Klärchens Unschuld zusammen setzte, alle Zeichen eines ernsthaften Nachdenkens trug. Ich lächelte den freundliche« Wein an, und, wie er mir erst unter die Nase sprudelte, setzt» auch sein Geist den meinigen augenblicklich in Gährung. Ein flüchtiger Gedanke zog nach dem andern vorüber, ohne daß ich ihn aufhielt; bis endlich einer so zudringlich ward, daß ich ihn faßte, und mir durch alle mögliche« Sophisterei»« den'Spafi machte, ihn so lange aufzustutze«, bis er mir am Ende zu meinem Unglücke über den Kopf wuchs.

85

3rei Stunden, mit Hülfe meines Glossariums, eine ver­ ständliche Uebertragnng der alten Urkunde in reineres Deutsch so vollkvmmen gelungen, daß ich vor greube den Kammer­ herrn hätte küssen mögen; denn erst jetzt sah ich, um wie ungleich mehr mir seine Unkenutniß tu de» Schriften der Vorzeit werth war, als sein im Grunde verworrenes Geschwätz. Der StistuagSdrief deS edel» Erbauers jener Kapelle ent­ hält neben manchen ander» Vorschriften eine« ungemein treuherzigen Zuruf an seine männliche» Nachkommen. Man sieht in jeder Zeile, wie gut er eS mit ihnen meint und wie viel ihm an der ächt ritterliche« Fortpflanzung seines Geschlechts gelegen sey — und obschon die SicherheitSregela, die er ihnen bei der Wahl ihrer Ehehälften empfiehlt, von unsern verfeinerten Sitten so himmelweit abgehen, alS das Heldenbuch von GeßnerS Idylle», so kann man doch beiden Grundsätzen, von denen er auSgeht, höchstens die Achseln zucken und lächeln, ohne gerade seine Ansichten zu verwer­ fe» — So bestimmt er z. B. eine jährliche Ertra-Steuer zum Gehalt einer erfahrnen und bis ins Grab verschwiege­ nen Matrone, die er, vor der standeSmäßigen Uebergade seiner Verlobten, zur Beglaubigung ihrer jungftäulichen — uud nachher zur Bewachung ihrer Würde als SandeSmutter ohne Einfluß ihrer Oberhofmeisterin «»gestellt wissen will. Diese Stelle seiner Vorrede, mit alle» de» einzelnen Anwei­ sungen, die ich jedoch vor der Hand noch übergehe, gab mir einen ganz «»der» Begriff von den Pflichten der ehrwürdige»

278 Bewohnerin des rothm Thurms, die mir kur; vorher her .stamnierherr mit so grellen Farben schilderte.

Während dem Entziffern der gothischen Buchstabe» der veralteten Urkunde, war der Wunsch in mir rege geworden, die deiden Pilger vor drm Eintritt in die Kapelle persönlich kenne« zu lerne«.

Meinst du nicht anch, daß es in unsern moralischen sowohl als physischen Studien einen eigenen Spa- macht, wenn wir bei der Puppe eines Zwiefalters, die scheinbar todt vor «ns liegt, die Farbe seiner Flügel und die Lebhaf­ tigkeit vorher zu errathen gesucht haben, mit der wir ihn, «ach seiner Ausbildung, dem ängstlichen Naturzwange ent­

schlüpfen und, erstaunt über seine schöne Verwandlung, mit

funkelnden Auge« dem blühenden Jelängerjelieber zuflattern sehen. Jung und sehr geneigt zu so einem Gedankenspiel, wie ich damals «ar, kam es mir auf eine Reise von ein paar

Mellen nicht an, «m mir einen so unschuldigen Zeitvertreib zu machen.

Ich entschloß mich kurz, ließ meinen Staatsrock einpacken und richtete e- so ein, daß ich am Abend vor der Festlichkeit in der Residenz etntraf. Aber hier, wo ich vor dem grünen Lorbeerbaum still hielt, schien es, als ob mein guter Genius Zeit und Ort so richtig abgemessen hätte, um mir das Vergnügen einer wohl­ thätigen Handlung zn »erschaffen, die, zehn Schritte wei­ ter, nicht mehr möglich «ar. Denn in dem Augenblicke,

279 I*« ich den Schlag meines Wagens hinter mir »«warf, war etine in schwarze» Flor verkappte Fremde im Begriff, aus d-em ihrigen zu steigen, verfehlte aber den Tritt und hätte, vbhne «ein schnelles Juspringen, Gott weiß, welche» häßlichhen Fall «ns das Steinpflaster gethan. Dor Schrecken konnte sie nur einsilbige Danksagungen hhrrstammeln. Sie zitterte noch an meinem Arme, den ich ihhr, ohne noch zu wissen, wie jung und schön sie war, auS bbloßem Antrieb gemeiner Höflichkeit darbet, um sie durch d»as Gedränge deS Gasthofs hindurch in das Zimmer zuftihreen, daS man ihr anwieS. Ein noch günstigerer Zufall «machte mich hier — so verschieden sind, bei aller Famtlteuälihnltchkeit, die verschwisterten Horen unsers Lebens — «Näher noch zu ihrem Nachbar, als ich eS bei Klärchen gewordden bin. DaS HauS war so von Fremde« besetzt, daß mir dder Wirth nur ein Htnterstübchen ohne AuSgang einräume« konnte, daS von ihrem Zimmer bloß durch eine Thüre ggrtrennt war, die man jedoch von der einen wie von der «andern Seite verriegeln konnte. Der Fehlttitt deS, wie ich »nun sah, höchst liebliche» Mädchens, erleichterte ungemein uunsere Bekanntschaft. — Wir wechselten zuerst unsere Namen ggegen einander aus, -- Der ihrige, sagte sie, den sie vor «achtzehn Jahren in der heiligen Taufe erhalten, sey Amanda. —— Der ist doch, erwiederte ich, um das Gespräch in Gang ttzu bringen, theils fvnorischer, theils passender, als so viele, ddie jetzt Väter die Mode haben, ihren Töchter» betznlegeu.

280 wie sie ihnen der erste beste Neman an die Hand «ibt, als z. B. Fredegunde, Hildegarre oder Aloisia Sigea and der­ gleichen. — Mittlerweile wurde ein Csttischchen mit zwei Zouverts herein getragen. Ich sah sie fragend an, — sie schien nichtdawider zu habe« — und ich noch weniger. Wir httten ein­ ander schon abgemerkt, daß Jedem eine andere Gesellschaft lieber wäre, al- seine eigene. Ehe wir «ns noch eor unse­ rer Crdbeerkaltschale niedersetzten, erfuhr ich schon so viel, daß sie in Geschäften hier sey, die ihr wohl nicht so leicht Jemand ansehen würde. Aber jetzt, bevor ich zu den grünen Erbsen übergehe, die ich ihr vorlegte und mit Imker bestreute, bitte ich dich und euch alle, ihr politischen Schleichhändler, die ihr wohl öfter al- ich krumme Wege einschlagen und Schreiber, Minister und Generale bestechen müßt, um hinter Dokumenre j« kommen, die in euer« Kram taugen, für das Folgende um eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit. Es wäre doch möglich, daß sich etwas, einem grauo saiis Aehnlicbes darin fände, mit dem ihr die Suppen würzen könntet, die itr für euer» Herrcntisch zu koche« habt. Eben da ich für die schöne Unbekannte, am Schluff! un­ ser- gemeinschaftlichen Mahls die Flügel eines Rebhuhns «bgelöst hatte und >uur die beiden Beine für mich bchielr, schien sich alles Fremdartige unter uns zu verlieren. Sie trat mir auf einmal — vermuthlich um mich nicht Ünger

281 i» U»ge»ißheit zu lassen, ob fit, mit brr ich so ungleich theilte, »er Leckerbissen auch werth sey, die mir schon genüg­ te», wein sie ihr schmeckten — ja, ehe ich'S nur von serne ahne» konnte, trat sie mir — erstaune Eduard, — in dem MubuS einer so blendende« Würde unter die Auge», daß ich nicht sogleich wußte, was ich mit der Ehrerbietung und Hoffnung «»fangen sollte, die sie mir einflöSte; denn dieses reizende Mädchen — denke nur — war nichts Geringeres, als eine bevollmächtigte Gesandtin der erste» Klaffe, wie ehemals

die Prinzessin Ursini. — Ich traf so auffallende Berührungs­ punkte unter Beiden an, daß ich meiner schöne» Tischgenossin auf keine Weise zu viel Ehre «»thue, wenn ich sie der ver­ schmitztesten Unterhändlerin drS vorige» IahrhuudertS an die Seite stelle — mit Ausnahme der allzugroße» Verschwiegenheit, welche die Neugierigen im Wiener Kadiuet jener hochmürht-ea Krau vorwarfen. Ich würde an meiner Gesellschafterin daS offenbarste Unrecht begehen, wenn ich sie dieses Fehlers

der Unterhaltung beschuldigen wollte: dafür bewahre mich die Erinnerung ihrer allerliebste» Offenherzigkeit. — Genannte Prinzessin, — wirst du dich wohl noch auS ihrer Geschichte ertuuera' — «ar heimlich beauftragt, Staatsgeheimnisse einet fremden Hofs «uSzuforschea und sie dem ihrige» zu verrathen. Amandchen mit ihrer Instruktion war in dem­ selben Falle. —

Ich hätte, wäre eS darauf augekommen, — «eine Pa­ rallele zwischen diesen beiden wichtigen Personen, sehr weit,

282 j« bkS zum spanischen Successionskrieg a«-dehnen sinnen, der nicht, ju seiner ewigen Schande, das Brandmal seiner Veranlassung, das Blutzeichen seines Ursprung- so offen an der Stirn tragen würde, Hütte man auch die kluge Vorsicht des mehrmals schon gepriesenen Ahnherrn angewandt, die teterrima belli causa, vorher, ehe es zu spät war, von ver­ ständigen Matronen beleuchten zu lassen. Die Vergleichung ließe sich noch weiter bi- zum Baadner und Utrechter Frie­ de» sortsetzen — denn in allen diesen wichtigen Welthändein hatte die schlaue Französin ihre Hände im Spiel, so gut wie jetzt Amandchen die schönen ihrigen in dem Krieg und Frieden des künftigen Sonntags. — Ich wünschte dir dieß Alles nicht nur deutlicher, sondern auch so anschaulich zu machen, als es mir in dem süßen Augenblicke wohl werden mußte, wo meine Ohren dem Sopran ihrer Stimme, meine Augen der Geschicklichkeit ihres Athemzugs nachspürten, der manchmal, wie der Zephir auf einem Schmerlenbach, an dem Obertheile ihres Musselins mit ein paar Wellenlinien spielte, die meiner Aufmerksamkeit beinahe eine andere Richtung ge­ geben hätten. Mir kam es zugleich vor — doch kann ich mich irren, — als ob die kleine Gesaudtin sich nicht ohne Grund, mehr auf die Wunder ihrer achtzehn Jabre, als ans die Würde ihrer Mission zu Gute thäte, und ich versprach ihr heimlich, mich darnach zu richten — denn wenn sie mich die reichhaltige Tiefe jener nur errathen ließ, so enthüllte sie mir hingegen diese, wie sie sich selbst ausdrückte, bis auf die Gräten.

283 „Damit Sie doch," fing sie mit einer eben f» artigen als rührenden Wendung an, „auch erfahren, wer eigentlich die junge Person ist, der Sie als ei» schützender Engel in dem schrecklichsten Moment ihres Lebens zuflogen — ach, es durfte nur «och einer vergehen, und es lag ein gutes Mäd­ chen vom gesundesten Gliederbau und erträglichem Aeußern zerschmettert z« Ihren Füßen — so darf ich kein Bedenken tragen, meinem so großen Wohlthäter im Vertrauen zn er­ öffnen, daß ich bei der lieben Prinzessin, die morgen Nach­ mittags zu ihrer Vermählung hier erwartet wird, mehr die Stelle ihrer Freundin, in der «eitläuftigsten Bedeutung deS Dort- als, dem Titel nach, die ihrer Kammerjungfer ver­ treten habe. — Diese unerwartete Nachricht brachte mich so ganz aus meiner Fassung, da- ich in diesem Augenblicke höchst verlegen war, welcher von ihren beiden schönen Eigenschaften ich vor­ züglich huldigen müsse. Schon diese Verhältnisse, fuhr sie fort, können eS erklären, warnm die Fra« Fürstin Mutter, dem Wunsche ihrer geliebtm Tochter gemäß — damit sie W) eine alte Bekannte in der Stadt fände, mit der sie ein Wort allein schwatzen könnte — mich heute schon und um so viel lieber hieher schickte, weil ihr seldst zu viel daran liegt, bald zu erfahren, wie ihrem furchtsamen Kinde die erste Nacht außer dem älterlichen Hanse vergangen sey. Das «erde ich nun freilich umständlich genng in der Audienz hören, die sie mir de« Morgen nach ihrem Deilager ertheilen

284 will; denn das gute Kind kann nun einmal nicht das Ge­ ringste vor mir auf dem Herren behalten. — Ach, Gott gebe nur, seufzte ich heimlich, daß kein ungün­ stiger Ausspruch der Lhurmwächterin der Braut den Eingang in das Allerheiligste versperre und deine ganze schöne Ge­

sandtschaft, mein gutes Amandchen, zu Wasser mache. — Ob ich nun rwar, fuhr sie mit viele« Anstande fort, gar wohl einsche, baß die pünktliche Ausführung eines so kttzlichen Geschäfts, bei welchem sich wohl selbst die gelehrte­ sten Manner ungeschickt benehmen würden, nur einer Per­ son möglich ist, die daS gute Kind von seine» Windel« an gepflegt und sein Zutrauen in so hohem Grade erworben hat, alS meine Wenigkeit; so gestehe ich Ihnen doch, daß ich der Ehre dieses geheimen Auftrags gern überhoben gewe­ sen wäre. Schicklicher würde es ohnehin seyn, die Tochter entwickelte der Mutter die beklommenen Gefühle ihrer Seele in einem Hanbbriefchen,, aber Beide wisse» wir eS nur zu gut, wie viel sie mit der Feder vermag — und nun vollends, mein Gott! nach einer so nngewohnten Veränderung! Leider mnß ich sonach der armen Kleinen zum Sprachrohr dienen — daS ihre Ohrenbeichte aufnehmen und weiter bringen soll; es mag mir auch noch so himmelangst davor sepn." Diese kleinmüthige» Aeußerungen einer Herzensfreundin und langjährigen Kammerjungfer der jungen Verlobten, ver­ sprachen mir schon nicht viel Tröstliches über die heilige» Urkunde« zu hören, auf die eS hier ankam; aber meine

285 Besorgniß stieg noch um Vieles höher, je seltener sich das naive Amandchen des allegorischen Schleiers bediente, den der alte Hofmann darüber geworfen hatte. Doch nm sie nicht stutzig zu machen, hütete ich mich weis­ lich, sie vor der Hand von meinem Selbstgespräch mehr merken zu kaffen, als mir in Rücksicht des Plans dienlich schien, der sich nun unter meinem Scheitel zu bilden anfing. — Ich rief dafür dm Aufwärter, uns ein paar Gläser Punsch zu bringen; diese thaten auch redlich daS Ihrige. — Mit einer nachdenkmden Miene, die ihrem Gesichtchen recht artig ließ — und, «ährend sie von dem «armen Ge­ tränk nippte, hob sie ihre blauen Augen in die Höhe und schüttelte daS Köpfchen. Nein — schien eS ihr nicht länger möglich zu seyn, ihren innern Aerger zu unterdrücken — nein, eS ist unverantwortlich, wie die beiden Höfe die vier­ zehnjährige Dame behandeln. Nicht eher als gestern, mein Herr, beim Frühstück, von dem ich nicht glaubte, daß eS daS letzte von mir aufgetragene seyn würde, wnrden ihr die Ansprüche deS Prinzen auf ihr Persönchen bekannt gemacht und der Ehekontrakt vorgelegt, um ihren Name» damnter zu ktttzeln. Ich dachte, der Schlag würde mich rühren, alS ich ihr'die Feder eintunke« mußte. Schon »ter Wochen lag er hinter ihrem and meinem Rücke» auSgefrrtigt in dem Cabinette deS Fürsten, als ob Unsereins nicht besser beurtheilm könnte alS Seltern und Minister, waS — hier fiel eS ihr ein, «och einmal an den Knöchel« deS Feldhuhns zu

886 knaupeln, daS fie schon weggelegt hatte, und vergaß darüber den Nachsatz, auf den ich doch so begierig war. Die kindischen Thränen — knüpfte sie nach einem Weil­ chen den Faden ihrer Erzählung an — welche die arme Un­ befangene vergoß, stuchteten eben so wenig, als unsere trif­ tigsten Vorstellungen. Ihr gewiß erfahrner Lberhofmeister sagte eS der Fürstin inS Gesicht, daß der Uederfprung ihrer Tochter aus der Schulstube in die Lehrstunden deS Braut­ betts ein wahrer ealto mortale sey. Possen, antwortete Ihr» Durchlaucht — jener Hof, der um unser Jettchcn geworben hat, ist nach einem alten Hauögesetz verbunden, keine zu wähle«, die älter ist. Uns bleibt «tchtS übrig, alS der Grille nachzugeben. Der Fehler ihrer Jugend wird nach Jahr und Lag «icht mehr sichtbar seyn — und was müßten verstän­ dige Leute von der Einsicht eine- Fürsten denken, der solcher Lappalien wegen eine so vvrtheilhafte Verbindung ausschlüge. — Die Länder beider Herren stoßen an einander, und ich wette, in rweimal vier und zwanzig Stunden gibt eS keine Gränzstreitigkeitea — keine Ppreneen mehr. — An dem Leitband einer solchen Politik wird nun morgen das unschuldige Kind einem Manne in die Hände gespielt, — das ist noch die Frage, dachte ich — den eS weder gesehen, noch von dessen Vorhaben mit ihr sie auch nicht de« gering­ sten Begriff hat. Ich dltte Sie um Gottes Willen, mein Herr, was soll a«S so einer Heirath KlizgeS herauskommen. Mit dem Pttazen ist eS steilich etwas anders — der hat

«87 ihre großen Augen, ihren sittsamen Anstand und ihre« herr­ lichen Auch» schon lieb gewonnen, alS er, wie es nun ver­ lautet, incognito in einem -rauen Urberrvcke, ihrer öffent­ lichen Confirmation beiwohnte. Sie war auch damals zum

Verliebe« — Ich hatte sie auf das schönste herausgeputzt, ein wenig geschminkt, «nd sie siel der ganze» Gemeinde in die Augen — ich aber wußte am besten, was dahinter steckte — dafür kann aber auch Niemand neugieriger auf übermor­ gen sey» alS ich — Außer mir — fiel ich der kleinen Derrätherin unbedachtsam in die Rebe «nd ließ, um ihr zu zeige», daß ich wohl auch Geheimnisse zu verschwatzen hätte,

ein paar unverftkngliche Worte von jener räthselhaften Ka­ pelle falle«; hätte aber bald darüber meinen ganzen Kram verdorben: den» wie ich sie auf die Mysterien dieses HeiligthumS fast so neugierig gemacht hatte, alS ich es selbst war, — nur unglücklicher Weise hinzusetzte, ob die junge Prin­ zessin nicht billigen Anstand nehmen würde, ihre dott »er­ richtete Andacht den Ohren auch ihrer innigsten Jugend­ freundin preis zu geben; so brachte mein geäußerter Aweifel ihren kleinen Tesandtenstolz in sichbare Bewegung. — Nun das wird sich zeigen, antwortete sie mir ziemlich schnippisch. Ich ktnn nur ausrichten, was mir die Tochter an die Mut­ ter aufgeben wird, und wäre die Sache ja des Verschweigens wetth, so sollte ich denken , werde» die einzigen drei Personen, die davon Kunde haben, es auch Wohl zu beobachten wisse» — Das aber «ar eben der Stein des Anstoßes, den ich

288

beseitigen mußte; denn, wollte ich nicht auf halbem Wege stehen bleiben, so mußte auch meine vierte Person mit ihren beiden Ohren ihren Antheil davon bekommen. EiuerSchwätzeria gegenüber hat ein Aufpasser immer gut Spiel; denn «»erachtet mir ihre schmollende Miene sehr deutlich zu sagen schien — du glaubst mich zu überlisten, guter Freund, da mußt du aber leiser austreten, wenn du das Vögelchen nicht verscheuchen willst, das du in deinem Sprengel zu fangen denkst — so ließ ich mich dadurch doch nicht irre wachen. Ich stimmte nur meiae Lockpfeife anders, bald so, bald so, bis

ich den Ton traf, den es am liebsten hörte. Ein Wort für tausend! Mei« zu jener Zeit eigenes Glück mit dem ver­ schmitzten Geschlechte, brachte es endlich dahin, daß mir,dic liebenswürdigste aller möglichen Gesandttnnen, mit zittern­ den Lippen, bebender Brust, daS Versprecht« zustammrlte: — von nun an nichts in der Welt mehr vor mir geheim zu halten, eS möchte auch daraus entstehen, was Gott wollte. Diesen glücklichen Ausgang, wähnte mein stolzes Her», wird die schöne Fremde bei aller ihrer Klugheit schwerlich geahnet haben — O ich eingebildeter Thor, der ich immer gewesen bin! — Sie hatte ihn, glaube ich, schon bet unserer Kaltschale vvrausgesehen, schon, wie eine geübte Nähterin, beim Sinfädeln des Zwirns auf das letzte Knötchen gedacht. So ttaolich, als mau nur iu einer Kammer ohne Auögang sepn kann, schlang sie im Auf- und Abgehen thrm weißen

Arm um den meinigen. — Jetzt, mein rudringlicher Herr, faßte sie sich kurz, noch ein ernsthaste- Wort. Ihrer un­ mäßigen Nengter zu gefalle« darf ich weder mein Berufs­ geschäft an- den Augen, noch mit Verplaudern die Zett ver­ lieren, denn mit fürstlicher Ungeduld ist nicht zu spaßen. Nun hab« ich aber so für mich im Süllen vorausgesetzt, daß Sie mich, wenn ich hier abgehe, wenigstens die Hälfte Wege- -er« — nicht wahr, Sie thun e- gern? — begleiten, da- hebt denn alle Schwierigkeit. Während ich mich in meinen Reiserock werfe, bestellen Sie da- Anspanne« — fetzen Sich neben mir in «eine» Wagen und lasse« den Ihrige» so lange leer nachfahren, bi- Sie Sich an de» Lamenteu meine- Beichtkindes satt gehört haben. — WaS sage» Sie »u meinem Plan? — „WaS ich dazu sage — liebes vorsichtiges Mädchen - ich bewundere ihn, und mache ihn in alle» feine» Punkte» und Klauseln zu dem meinigen. Stein Alberoui, kein Chotseul, kein Kaunitz hätte ihn den vorliegenden Umständen

angemessener enttverfea können. Wahrlich, Sie find »u einem GesandschaftSposte» geboren." Sie erwiederte meine Schmei­ chelei mst einem herzliche« Händedruck, und wir bestärkte» noch — ehe sie die Lhstr hinter mir »erttegelte, unsere gegen­ seitige Zusage f» gut alS durch einen körperlichen Eid. Ich warf mich so beruhigt, so mit mir guftteden, auf «eine Mattatze, wie ein Spion, der sich mit heiler Haut durch die feindlichen Vorposten geschlichen hat. De« Morgen «ach dieser nächtlichen Verschwörung ttanken ich und Amanbchen Tbümmel, sammt!. Werk,. IL 19

290 noch unsern Kaffee zusammen — dann dachte jedes an nicht­ weiter, alS durch seinen Anputz der Einladung — ich an die fürstliche Lasel — sie an den Kammertisch — Ehre zu machen. Die Scheidelinie, die uns den Lag über trennte, reichte doch nicht — daS war unser Trost — dis zu unserer Nachbarschaft im Gasthofe. Mein Wunsch, die ersten Akteurs deS heutigen Duodramas kennen zu lernen, gelang vollkommen. Ich kam dem Erbprinzen an seiner Tafel gegenüber zu sitzen, freute mich der schönen ritterlichen Gestalt, und wünschte der Braut in Gedanken Glück zu einem solchen Wegweiser nach der dun­ keln Kapelle. Die Aehnlichkeit mit seinem Herrn Vater — der sich aber nach einer kurzen Erscheinung, deS Herkommens oder des PodagraS wegen, dem.Feste seines Sohnes entzog — beruhigte mich über den verlornen Schlüssel seiner Frau Mutter höchstseligen Andenkens. — Wir tafelten in großer Eile. — Der Nachtisch war noch nicht in Ordnung gesetzt, als ein Signalschuß, der die Annäherung der fürstlichen Braut verkündigte, uns alle von dem Konfekt hinweg an die Fenster jagte. Nach Verlauf einer ungeduldigen Viertelstunde kam sie — und ich faltete wehmüthig die Hande — dem rothen Thurme und seinem Zwinger vorbei, in den Schlvßhof gerollt, und alle unsere Herzen flogen ihr entgegen, als der glück­ liche Eroberer des ihrigen, unter dem Lauffeuer der Kanonen und dem Geläute der Glocken, dieß betäubte Kind der Natur

291 aus dem Wagen hob. So schön blaß, als ich mir einen ster­ benden Engel vorstellen würde, wenn ein solcher sich denken ließe, reichte sie in ihrem Hochjeitstaate ihrem nicht weniger geschmückten Bräutigam zitternd die Hand, und von dieser Minute an nahm meine Seele einen so innigen Antheil an ihrer reizenden Unschuld, daß, wäre eS nach mir gegangen, ich die heillose Kapelle gern dem gewöhnlichen Schicksal mil­ der Stiftungen Preis gegeben hätte. So lange das Uhrwerk der Etiquette fortrasselte, verloren sich alle meine Blicke in den offenen Himmel der ihrigen. — Ich trippelte an dem Schweif des Hofstaats hinter ihr her, als, nach einer kurzen Pause der Erholung, ihr Verlobter diese blaßblühende Rose auS dem Halbzirkel der hvchfarbigen Mohn- und Klatsch-Blumen, die ihr ohne Aufhören um die Ohren säuselten, rettete, und mit dieser herrlichen Blume an der Hand, sich in dem anstoßenden Dimmer dem heiligen Mann näherte, der sie an seine pochende Brust befestigen sollte — mit einem Worte, «IS der Prinz seine schöne Braut zum Lraualtare führte. Unaufmerksam auf die — vermuth­ lich stattliche Rede deS Kapellans, erbaute ich mich nur an der Wirkung die sie hervorbrachte, an den kleinen köstlichen Perle«, die den andächttg gesenkten Augen der htngegebene» Jungfrau entfielen. Ich bemerkte mit innerm Schauder, wie bet dem göttliche« Befehl: Seyd fruchtbar und mehret euch — die Juwelen ihres Brautkranzes zitterten, und als der Priester «ach Auswechslung der Ringe die Verbundenen für

292 daS Wettere eint»esegnrt hatte und ein allgemeines Amen die heilige Handlung beschloß, welche Ausdehnung mußte dieses fromm« Losungswort nicht bet mir — bei dem einjigen von der mittönende» Gemeinde erhalte«, der die Verlegenheiten so genau kannte, die eS ihnen nach Verlauf weniger Stun­

den zuziehe» würde. Unter dem Nachsumme» der Orgel leitete «nS der Stab deS LdermarschallS in baS Pantheon der fürstlichen Hausgötter — in den prächtigen antiken Spetsesaal. Aus der Mitte der Hauptwand strotzte daS Dildniß deS bärtigen Stammvaters hervor. Ueber seinem Harnisch blinkte an einer goldne» Halskette der Binde- «ad Löseschlüffel zu dem Himmelreich seiner Kapelle, den tn den langen Nebenreihen seiner beseligte» Nachkommen eine nachbarliche Hand der ander» zngeretcht hatte. Ihre immer freundlicher werdenden Trachten spiegelten daS gllmählige Fortsteigen zum besser» Geschmack «ufS Deutlichste ab, und alle überstrahlt« sie diesen Abend ihr letzter Abkömmling mit glattem Kinn und gepu­ dertem Haare tn einem gvldstvffene», mit königlichen Adlern

»nd andern Raubthiere» verzierte» Gewand — eine Hnldin an seiner Rechten, die durch Glanz der Jugend, die An­ muth deS Putzes, die ganze weibliche Linie der Heimgegan­ genen Fürstinnen verdunkelte, die sich zwischen den festen Körpern ihrer Eheherrn, gleich der freundlichen Milchstraße am nächtlichen Horizont — zwischen den Stieren, Löwen, Steinböcken und Skorpione» durchschlängelte.

293 Wie Schotten «us dem Elysium schiene» jene alten Rit­ ter ernsthaft auf das heutige Prunkmahl herabzuschtelen, das statt der gewaltigen Schüsseln der Helden»ett — statt der Humpen und goldenen Decher nur mit Reijmittel« des Gaumens — nur mit aromatischen Leckereien — aus­ ländischen/ in krystallnen Gefäßen blinkenden Weinen und Spielwerken des ästhetischen Konditors besetzt war — für Gäste und Zuschauer eia sprechendes Symbol unsers verfei­ nerte« Zeitalters, das mit den Faustkämpfen und Turnie­ re» unserer gediegenen Vorfahre«, »«gleich ihre männliche Eß- und Trtaklust an ihre« Gelagen verdrängt hat. Wie geschwind würde diese «uch, wen» sie sich der Schmetterlinge, die die hochreitliche Tafel umkränjten, durch ein Wunder bemächtigte, ihnen die bunten Flügelchen — die »arte» Fühlhörner zerknicken und das feine Nervensystem »errekßen, das ihre lustigen Körperchen »usammenhält. Aber meine betrachtenden Blicke heftete« sich »»rzüglich auf sie — die in der Würde der Unschuld — unter einem Thron­ himmel — zur Seite eines liebefunkrlnben Fürsten dennoch mein Mitleide» erregte. Ich schlich forschend de» Bewegun­ gen der reine» Seele nach, die sich aufs Herrlichste in ihrem verschönten Gesichtchen abdrückte. Bei jedem Ermunterungs­ worte, d«S fei« Tenor ihrem Diskant »«flüsterte, brachte das Bewußtseyn — heute Nachts ei» Bette mit diese« Manne »u theile«, aus der Tiefe des Her,ens bis über die descheideaen Grübchen ihrer Wangen, alle Blutkügelchen t«

294

sichtbaren Aufruhr. Unter ihren niedergesenkten Wimpern zitterte hinterher noch die Angst, daß dir vielen Zeugen ihrer Erröthung auch den gehässigen Gedanken unartig errie­ then, de» sie sich so gern selbst verschwiegen hätte. Armes Kind, dachte ich, welche Unruhe würde dich vollends ergrei­ fen, körmtest du nur von Weitem die Vertraulichkeiten ahne», in die ich gestern mit deiner Busenfreundin gera­ then bin. Nach drei lästigen Stunden, die sie — die Königin des Festes, trotz der Künste des Kochs, ohne Genuß, und in der mit jeder Minute höher steigenden bangen Erwartung, welche Marterkrone ihr das Ende ihres Ehrentags aufsetzen würde, verseufzt hatte, lockte die Göttin der Tanzkunst mit ihren harmonischen Gehülfen die bunte Tischgesellschaft in die Erleuchtung eines blendenden Marmorsaals. Ein Chor reizender geputzter Nymphen, an den Händedruck wüthiger Jünglinge gefesselt, erwartete — sie alle, denen noch der Strom der Jugend durch die Adern brauste — erwarteten nur noch den Eintritt des gefeierten Paars, um ihre Annehm­ lichkeiten zu entwickeln und auf den Flügeln deS hinschwin­ denden LebenS Freude, Beifall und Verherrlichung deS Festes ihres zukünftigen Gebieters zu erjagen. Nur sie, die schönste und edelste in dem strahlenden Kreis, dem Bilde einer nächt­ lichen Höre gleich, die der verschwisterten Aurora zueilt — eröffnete den Ball mit ihrem Lebensgefährten ohne Einklang mit seinem Frohflnn, und schwebte, walzte und taumelte

295 unter dem Nebel ihres Schicksals ohne Theilnahme an unse­ rer lärmenden Bewunderung. Welch einen sklavischen Zwang mußten nicht während dieses sinnlichen Sturm- die Schlangen - und Wellenlinien ihres zarten Körpers unter dem Panzer eines reichen Schleppkleides erdulden — dis nach Dergang einer Stunde da- traurige Adagio zwischen einer langen Reihe bren­ nender Fackeln, wie det einem Leichen-Degängniß, die Ermattete zur Ruhestätte ihres Toilette - Zimmers be­ gleitete. Wiewohl sie nun an dieser letzten Station ihrer jung­ fräuliche» Reize meinen stille« Betrachtungen entschwand, so leistete mir doch der Schimmer der Wachskerzen, deren eine auch ich ihr »ertrug, den beruhigenden Dienst, daß ich meine kluge Stellvertreterin dem lieben Kinde nachschlüpfen sah. Wie die verscheuchte Feldmaus der Fabel schlich ich mich nun aus dem Geräusch der großen Welt zurück in den stille» Schatten des grünen Lorbeerbaums und harrte auf die Ankunft meiner Vertrauten. Jetzt, dachte ich, hat endlich der gebietende Stammvater die schöne Urenkelin, wo er sie haben will. Die laufende Stunde ist die erste, wo er sein Puppenspiel mit ihr beginnt, den» ich erinnerte mich aus seiner Vorrede ganz dunkel einer Stelle, die dahin Bezug hatte. Ich holte mein Portefeuille und suchte sie auf — sah aber zugleich, wenn sie mir ganz verständlich «erden sollte, wie nothwendig es wär, eine«

296 angtnjtufltn Aber die Umstände abzuhören, die er in seinem tollen Gehirne voraussetzt. Ich kenne — sagte er — auS eigener Erfahrung — die muß doch sehr sonderbar gewesen seyn, Eduard — daS uner­ trägliche Frösteln, denn so glaubte ich, müsse das veraltete Wort übersetzt werben, das da stand, ich aber in meinem Glossarium durchaus nicht finden konnte — das die Reize so unbefangener Geschöpfe mit einer Gänsehaut überzieht, wenn sie zum Erstenmal, wie ein Krebs im Frühling, die Echaale abwerfen, und ihr zartes Gewebe — ihre natürliche AuSstener, die mehr werth ist, als die reichste Morgengabe an Gold und Edelsteinen, der Lust aussetzen solle«. Ihr guten Fräuleins — fuhr er zu faseln fort — laßt diesen albernen Schauer, der Such so übel als einem muthlosen Knaben zu Gesichte steht, der seinem Ritter auf der Stechbahn den Schild vortragen soll — laßt dieses alberne Zittern in der kalte« Herberge Eurer Toilette zurück, ehe Ihr die heiße gone meiner Kapelle bettttet, damit das hoch­ gestiegene Barometer der Liebe, das Such gute Tage ver­ spricht, nicht zum Gefrierpunkte herabsinke. — Wie soll sich et» so leidenschaftlicher Junge, als ich hoffe, daß meine Prin­ zen, Enkel und Urenkel seyn werden, benehmen, wenn ihr Liebchen zitternd und bebend vor ihnen steht, und sich jedem Lichtstrahl zu entziehen sucht, der ihr auf die Brust fällt. — Ueber solchen Grimassen können Momente verloren gehen, die für meine Nachkommenschaft von de» wichtigsten Folgen sind.

897 Ob ich gleich die Stelle seines Hirtenbriefes »weimat überlas, konnte ich mich doch nicht über ihren wahren Sinn recht verständigen. Desto mehr freute ich mich auf den Commentar, de» mir eine «»verwerfliche Augenjeugi» darüber geben würde. Dergleichen spitzfindige Grille», als diese ist, gingen de» turntersüchttgen edel» Herren gewöhnlich durch de» Kopf, ohne etwas UebleS dabei »u denken, sobald sie sich etnfallen lie-e«, in baS Gebiet der Weiblichkeit et»r«brech